Werden wir schlecht regiert?
Die Bundesregierung hat, wie zahlreiche Umfragen zeigen, massiv an Vertrauen verloren. Das betrifft in besonderem Maß die Wirtschaftspolitik, wie der Präsident des Zentralverbandes Sanitär-Heizung-Klima Michael Hilpert in seinem aktuellen Statement „Wir werden schlecht regiert!“ unterstreicht:
Dieser Botschaft stimmen wir als Fachbetrieb ausdrücklich zu.
Es besagt schon viel, wenn die vier wichtigsten Wirtschaftsverbände der Republik, sich mit einem gemeinsamen Appell an den Bundeskanzler wenden – so geschehen Ende Januar dieses Jahres. Die Medien haben diesen schriftlich verfassten Appell als Brandbrief bezeichnet. Und genau das ist er; auch wenn er in aller gebotenen Höflichkeit formuliert ist.
In dem Schreiben an Kanzler Olaf Scholz beklagen die vier Verbände die aktuelle Verfassung des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Dessen erschreckender Zustand wird seit Monaten von allen namhaften Wirtschaftsinstituten und Wirtschaftsgelehrten mit entsprechenden Analysen, Prognosen und Statistiken belegt.
Deutschland ist im wirtschaftlichen Vergleich längst wieder der „kranke Mann Europas“, wie schon einmal im Jahr 1999. Nicht alle Probleme und Herausforderungen, die aktuell unsere Wirtschaft belasten, sind dabei hausgemacht. Aber unsere Regierung tut ihrerseits nichts gegen die negativen Folgen dieser externen Faktoren und andererseits alles dafür, die Situation mit eigenen fehlgeleiteten Entscheidungen noch zu verschlimmern. Die vier Verbände haben dies gegenüber dem Bundeskanzler klar benannt: notwendige Strukturreformen sind ausgeblieben, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge steigen. Bürokratie und Regulierungen werden zu immer größeren Bremsklötzen für einen wirtschaftlichen Aufschwung.
Neben BDA, BDI und DIHK hat auch unser Dachverband ZDH den Brief mitunterzeichnet. Und er hat auch in unserem Namen einen Zehnpunkte Forderungskatalog erstellt, der Maßnahmen zusammenfasst, mit denen Deutschlands Wirtschaft wieder durchstarten könnte. („Durchstarten für den Standort Deutschland“)
Ich weiß, dass viele Kolleginnen und Kollegen in unseren Reihen die Sorge, den Ärger über die aktuelle Regierungspolitik teilen. Ja, hier und da haben Empörung und Wut auch dazu geführt, sich solidarisch mit denjenigen zu zeigen, die wie die Bauern und Spediteure diese Wut massiv öffentlich gemacht haben.
Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist geprägt durch die Entscheidung von ZDH und ZVSHK in dieser schwierigen politischen Situation unseres Landes, der Politik ihre Fehler aufzuzeigen. Gleichzeitig aber in einem konstruktiven Dialog Lösungsangebote zu unterbreiten, wie es jetzt mit dem Brief an den Kanzler erfolgt ist. Es steht nicht zu vermuten, dass die Ampelkoalition vor Ablauf der Legislaturperiode zerbricht. Wir werden mit dieser Regierung also noch eine Weile auskommen müssen. Unser Land und seine Menschen verdienen es, dass wir als Wirtschafts- bzw. Handwerksverband konstruktiv für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Entwicklung zum Nutzen des Standortes Deutschland und der SHK Fachhandwerksbetriebe streiten.
Ich persönlich werde in einem anberaumten Gespräch, wenn sich die Chance ergibt, dem Bundeskanzler beispielhaft deutlich machen, wie eine in allen Bereichen zunehmende Masse an Bürokratiemonstern in Deutschland unser Handwerk ausbremst. Ein Handwerk, das gerade jetzt mehr denn je gebraucht wird, um die klimapolitischen Ziele der Politik Realität werden zu lassen. Statt nach den ganzen Irrungen und Wirrungen beim Entstehen des sogenannten „Heizungsgesetzes“ die dabei ausgelöste große Verunsicherung im Markt aufzulösen – und neben dem Modernisierungsschub in den Heizungskellern damit auch konjunkturelle Impulse zu setzen – bremst uns die Politik mit neuen Bürokratieauflagen aus. Jetzt müssen wir Kunden explizit beraten, wenn diese sich noch eine fossil befeuerte Heizung zulegen wollen. Unsere Kunden verstehen diesen Aufwand nicht, und unsere Kunden schauen ungläubig und bestellen nach zeitlich aufwendiger Beratung doch nur die neue Gasbrennwerttherme.
Gemessen an der gesamten negativen Entwicklung am Wirtschaftsstandort ist das sicherlich nur eine kleine Stellschraube für Optimierungsmaßnahmen. Aber sie zeigt exemplarisch genau auf, woran es bei uns hapert. Unternehmerische Initiative und Innovationsgeist werden systematisch ausgebremst. Der Staat will bis in den Heizungskeller hinein regieren und glaubt, die Bürgerinnen und Bürger auf diesem Weg nur durch neue Verordnungen und Gesetze zum Handeln zu bewegen.
Alle Meinungsumfragen zeigen derzeit, dass die Ampel für diese Art schlechter Politik im Volk keine Mehrheit mehr hat. Kanzler Scholz sollte sich daran erinnern, dass er vor Parlament und Öffentlichkeit geschworen hat, seine „Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden.“
Warten wir ab, wie seine Reaktion auf die Mahnung der vier Wirtschaftsverbände ausfällt. Die Politik muss endlich handeln.
Hier finden Sie den Wortlaut des gemeinsamen Briefes, den die Präsidenten von DIHK, BDA, BDI und ZDH am 30. Januar 2024 an Bundeskanzler Olaf Scholz geschickt haben:
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
mit großer Sorge beobachten wir die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung, in der sich unser Land befindet.
Die deutsche Wirtschaft steht vor großen strukturellen Herausforderungen. Der Standort Deutschland verliert an Attraktivität. Ausbleibende Investitionen und negative Konjunkturerwartungen unterstreichen das. Der Frust und die Verunsicherung bei vielen Betrieben wachsen – und die Verlagerung von industrieller Produktion ins Ausland nimmt zu, gleichzeitig nimmt die Bereitschaft zur Existenzgründung oder Unternehmensübernahme junger Menschen immer mehr ab. Wenn aber die Investitionen hierzulande unterbleiben und der Mittelstand schrumpft, kann die Transformation in Richtung Klimaneutralität nicht gelingen.
Mit einem kräftigen Aufbruchssignal und langfristig verlässlichen, wirtschaftsfreundlichen Rahmenbedingungen kann und muss die Politik bei den Unternehmen wieder mehr Vertrauen aufbauen und Zuversicht für eine gelingende Transformation schaffen.
Wir appellieren dringend an Sie und die gesamte Bundesregierung, jetzt Maßnahmen zu ergreifen, die einen wirtschaftlichen Aufbruch in unserem Land fördern. Wir brauchen starke Unternehmen, um durch diese entscheidende Phase der Neuaufstellung der deutschen Wirtschaft und wieder auf einen Wachstumspfad zu kommen. Wir stehen an einem wichtigen Punkt. Nur wenn wir wieder erfolgreicher sind, werden wir in der neuen Welt wettbewerbsfähig sein und gute Arbeitsplätze stellen können. Beides ist Grundlage für unseren Wohlstand und unseren Sozialstaat.
Die vor uns liegenden zwei Jahre bis zur Bundestagswahl dürfen kein Verwalten des Status Quo sein. Die Politik sollte mehr auf das Engagement und die Kreativität im Land setzen – und diese auch ermöglichen. Die Botschaft muss sein: Wir brauchen euch, wir wollen euch machen lassen, wir setzen auf eure Eigenverantwortung – in den Unternehmen, in der Gesellschaft.
Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft stehen für Gespräche mit Ihnen bereit – beispielsweise im Rahmen des Spitzengesprächs der deutschen Wirtschaft in München am 1. März 2024. Wir wollen unseren Anteil daran tragen, den Standort Deutschland zu stärken. Anliegend finden Sie Vorschläge, wie wir unsere Wirtschaft und damit unser Land stärken können.
Die zehn Maßnahmen, die DIHK, BDA, BDI und ZDH empfehlen:
Die Wirtschaft in Deutschland braucht international konkurrenzfähige Strompreise, damit die produzierende Industrie mitsamt energieintensiven Unternehmen und Betrieben eine Zukunft am Standort hat. Zwar schreitet der Ausbau Erneuerbarer Energien voran, jedoch ist eine umfassende Energieversorgung zu langfristig wettbewerbsfähigen Konditionen nicht absehbar. Damit wir erfolgreich die fossile Verstromung hinter uns lassen können, sind auch neue, wasserstofffähige Back-up-Kraftwerke der Dreh- und Angelpunkt für eine gesicherte, wetterunabhängige Energieversorgung.
Lösung:
Die Bundesregierung ist aufgefordert, ihrem seit langem abgegebenen Versprechen einer Kraftwerkstrategie endlich Taten folgen zu lassen. Wir benötigen dringend verlässliche Rahmenbedingungen, damit in den raschen Neubau wasserstofffähiger Gaskraftwerke investiert werden kann. Anders werden die Gewährleistung einer sicheren Stromversorgung und ein Ausstieg aus der Kohleverstromung nicht vereinbar sein. Eine solche Strategie darf allerdings auf keinen Fall zu neuen Umlagen auf die ohnehin bereits hohen Strompreise führen. Das wäre Gift für die Wettbewerbsfähigkeit am Standort und auch für eine erfolgreiche Transformation. Vielmehr gilt es, die rasant steigenden Netzentgelte durch einen staatlichen Zuschuss zu begrenzen und so das Preisniveau zu stabilisieren. Damit der nationale Wasserstoff-Hochlauf gelingt, muss das Finanzierungsmodell des Kernnetzes kapitalmarktfähig und rechtlich verankert werden.
Wachstum, Innovation und Veränderungsgeschwindigkeit in Deutschland werden durch endlose Planungs- und Genehmigungsverfahren ausgebremst. Das gilt für die schnelle Transformation der Wirtschaft ebenso wie für den flächendeckenden Glasfaser- und Mobilfunkausbau, für eine attraktive Entwicklung der Städte und Gemeinden sowie für eine nachhaltige Verkehrswende.
Lösung:
Die von Bund und Ländern im Pakt zur Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung beschlossenen Gesetzesänderungen müssen konsequent umgesetzt werden. Dabei darf es allerdings nicht zu Einschnitten in das Vergaberecht kommen, denn nicht darin liegt das zeitliche Problem. Teilweise enthält der Pakt Einschränkungen wie „soweit
zweckmäßig“ oder „europarechtlich zulässig“. Für mehr Tempo müssen nun alle Maßnahmen ohne Einschränkungen in allen relevanten Gesetzen umgesetzt werden. Zu den wichtigsten Beschleunigungsmaßnahmen gehören verkürzte Fristen für die Planfeststellung oder Zulassungsentscheidungen mit Genehmigungs- oder Zustimmungsfiktionen, eine verbindliche Stichtagsregelung zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage sowie die Erleichterung des vorzeitigen Baubeginns.
Deutschland ist durch eine Überkomplexität und Fülle von bürokratischen Vorschriften belastet. Der geringe Digitalisierungsgrad in der öffentlichen Verwaltung verschärft diese Herausforderung. Immer mehr Regulierung durch mehr Berichtspflichten spiegeln ein Misstrauen der Regierung in marktwirtschaftliche Prozesse wider.
Lösung:
Es braucht einen Befreiungsschlag. Das Bürokratieentlastungsgesetz IV (BEG IV) kann ein erster Anstoß sein, endlich ressortübergreifend eine spürbare Entlastung zu erreichen, die Wachstumschancen zum Nulltarif schafft. Dazu gehören unter anderem der digitale Steuerbescheid und die durchgängige Digitalisierung sämtlicher wirtschaftsbezogener Verwaltungsleistungen. Der vorliegende Entwurf des BEG IV muss noch umfassend ergänzt werden. Die Wirtschaft hat hier viele Vorschläge eingereicht, die bisher nicht berücksichtigt wurden. In der vorliegenden Form leistet das Gesetz angesichts des Ausmaßes neuer Pflichten allein in dieser Legislatur keine ausreichende Abhilfe. Bestehende Lasten – gerade bei den Berichtsund Nachweispflichten – müssen im Wege von Praxis Checks identifiziert und konsequent abgebaut werden. Die Politik muss neue Bürokratie systematisch vermeiden. Das bereits beschlossene „Belastungsmoratorium“ muss als Sofortmaßnahme endlich umgesetzt werden. Die Unternehmensfinanzierung darf nicht gefährdet werden – was angesichts der geplanten Vorgaben bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung zu erwarten ist. Die staatliche Verwaltung muss sich als Servicepartner der Unternehmen und Betriebe verstehen und pragmatische Lösungen anbieten, die nicht unnötig Kapazitäten im Mittelstand binden. Wirtschaftsbezogene Verwaltungsleistungen sollten durchgängig digitalisiert werden. Unzureichende Digitalisierung und Bürokratie dürfen nicht als Transformationsbremse wirken. Zudem sollte das Arbeitsrecht flexibilisiert und auf Eingriffe in die Tarifpartnerschaft verzichtet werden.
In die Infrastruktur in Deutschland wurde in den letzten Jahrzehnten zu wenig investiert. Weite Teile der Infrastruktur weisen erhebliche Defizite auf. Es gibt Engpässe, eine veraltete und teilweise marode Infrastruktur sowie eine Anfälligkeit für Sabotage. Die Geschwindigkeit bei Erneuerung und Ausbau wird den Anforderungen der Wirtschaft nicht gerecht. Dies gilt insbesondere für die Verkehrswege, die digitale Infrastruktur sowie die Energie- und Ladeinfrastruktur. Staus, Umwegfahrten bei Großraum- und Schwertransporten, zu wenig Geschwindigkeit beim Glasfaserausbau, „weiße Flecken“ bei den Mobilfunknetzen sowie Probleme bei der Umsetzung der Energie- und Antriebswende bestimmen das Bild. Und dabei muss neben der urbanen Perspektive gerade auch der ländliche Raum in den Blick genommen werden: Mittelstand und Familienbetriebe wurzeln hier oft seit Generationen. Mangelhafte Infrastrukturen und fehlende Fachkräfte setzen Unternehmen und Beschäftigte vor Ort unter Druck. Die Rahmenbedingungen müssen spürbar attraktiver werden – für Arbeiten, Wohnen und Leben.
Lösung:
Wir brauchen Sanierung ebenso wie Ausbau. Schnellere Verfahren, standardisierte Genehmigungen und der Verzicht auf umfassende neue Genehmigungen bei Sanierungen sind entscheidend, um insbesondere im Straßenverkehr die Funktionsfähigkeit der Infrastruktur in den kommenden Jahren zu gewährleisten. Im Rahmen einer Re-Priorisierung der öffentlichen Haushalte braucht es verlässliche und stetige Investitionen in die Infrastruktur. An die Stelle von Ausbau und Sanierung „nach Kassenlage“ sollte dann eine planvolle Sanierung und Engpassbeseitigung treten. Dort, wo der Netzausbau weitgehend eigenwirtschaftlich erfolgt, sollte die Bundesregierung den Netzbau gemeinsam mit Ländern, Kommunen und ausbauenden Unternehmen besser verzahnen. Zudem muss der Netzausbau sowohl im Fern- als auch im Nahbereich schneller vorankommen und insbesondere leitungsungebundene Lösungen berücksichtigen. Zentren und Randgebiete brauchen eine infrastrukturelle Anbindung, um Wirtschaftsverkehre fließen lassen und gewerbliche Standorte anbinden zu können. Die Wohnungsbaupotenziale müssen auch in ländlichen Regionen genutzt werden. Flankierend sollte auch die digitale Infrastruktur sowohl im Festnetz als auch im Mobilfunkbereich flächendeckend schneller ausgebaut werden. Das Potenzial ländlicher Räume für Wachstum und nachhaltige Transformation muss gehoben werden.
Der andauernde Krisenmodus seit der Corona-Pandemie bedeutet steuerpolitischen Stillstand zulasten der globalen Wettbewerbsfähigkeit des Standorts. Wir brauchen eine grundlegende, steuerliche Strukturreform, um die Belastung der Unternehmen und Betriebe zu senken und so auch im globalen Wettbewerb nicht weiter abgehängt zu werden und mehr private Investitionen im Zuge der doppelten Transformation anzuziehen. Das Wachstumschancengesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht ausreichend, um gegenüber anderen Marktwirtschaften wie den USA aufzuschließen.
Lösung:
Der Standort Deutschland muss durch die Einführung einer dauerhaften Investitionsprämie und verbesserten Abschreibungsbedingungen gestärkt werden. Zudem ist es dringend notwendig, die steuerliche Forschungsförderung auf ein international übliches Niveau auszuweiten. Ziel muss eine Absenkung der Steuerbelastung der Unternehmen in Deutschland auf maximal 25 Prozent sein, damit Deutschland hierbei wettbewerbsfähig ist. Hierzu ist zumindest der Solidaritätszuschlag vollständig abzuschaffen und die Thesaurierungsrücklage mittelstandsgerecht auszugestalten. Die Senkung der Strom- und Energiesteuern auf das europäische Mindestmaß muss für alle Unternehmen und Betriebe umgesetzt werden, nicht nur für diejenigen des produzierenden Gewerbes. Höhere oder neue Steuern auf die Substanz von Unternehmen, wie zum Beispiel bei der Erbschaftsteuer oder der Vermögensteuer, verbieten sich im Gegenzug.
Die Arbeits- und Fachkräftesicherung bleibt eine der wichtigsten Herausforderungen der nächsten Jahre. Die demografische Entwicklung bleibt dramatisch, daran ändert auch eine konjunkturelle Eintrübung nichts. Fehlende Arbeits- und Fachkräfte schwächen Unternehmen und den Standort Deutschland. Gleichzeitig werden die Sozialversicherungssysteme massiv belastet, wenn immer mehr Menschen Leistungen erhalten und immer weniger Menschen einzahlen. Wir können den Fachkräftemangel nicht mehr beseitigen, wir müssen alle Hebel in Bewegung setzen, damit wir ihn zumindest abschwächen. In den nächsten Jahren gehen die sogenannten Babyboomer in Rente und es kommen nicht genug junge Menschen nach.
Die im Dezember 2023 durch das Bundesinstitut für Berufsbildung veröffentlichte Ausbildungsbilanz zeigt zum wiederholten Mal auf, dass die Zahl der unbesetzt gebliebenen Ausbildungsplätze in der Wirtschaft Jahr für Jahr weiter zunimmt. Über alle Wirtschaftsbereiche hinweg sind mittlerweile knapp 14 Prozent des betrieblichen Ausbildungsstellenangebotes nicht besetzt. Es besteht ein dringender politischer Handlungsbedarf, damit mehr junge Menschen für die aussichtsreichen Berufseinstiegs- und Karrierechancen der dualen Ausbildung gewonnen werden. Wir haben zwar Höchststände bei den Erwerbstätigen, das Arbeitsvolumen ist aber faktisch gleichgeblieben. Der Trend zur Teilzeit gerade von Frauen geht ungebrochen weiter. Deutschland ist beim Kampf um die besten Fachkräfte aus dem Ausland noch nicht optimal aufgestellt.
Lösung:
Die Fachkräftesicherung ist eine entscheidende Stellschraube zur Standortsicherung in Deutschland. Es müssen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden. Dazu gehört eine funktionierende Erwerbsmigration genau wie die Aktivierung aller inländischen Potenziale. Wir brauchen deutlich einfachere und attraktivere beitragsrechtliche Regeln für die Beschäftigung von Rentnern. Künftig muss der einfache Grundsatz gelten, dass bei der Beschäftigung von Rentnern nur noch dann Sozialbeiträge fällig werden, wenn diesen Beiträgen auch ein Leistungsanspruch für die Beschäftigten gegenübersteht.
Die Auszubildenden von heute sind die Modernisierungs- und Transformationsfachkräfte der Zukunft. Fachkräftesicherung ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag. Denn Voraussetzung für alle anderen Wenden – Klimawende, Energiewende, Verkehrswende – ist eine Bildungswende hin zu gleichwertiger gesellschaftlicher Anerkennung von beruflicher und akademischer Bildung. Die Berufsbildungsinfrastruktur, wie Berufsschulen und überbetriebliche Bildungsstätten, muss dringend modernisiert und digital ertüchtigt werden. Zudem ist die Berufsorientierung an allen Schulformen zu stärken, hierzu gehören mehr Schüler- und Orientierungspraktika, die intensive Schule-Wirtschaft Kooperation vor Ort und der Einsatz von Ausbildungsbotschaftern. Es gilt auch, die Mobilität von Auszubildenden durch einen qualitativen und quantitativen Ausbau von Azubiwohnangeboten und deutschlandweit verwendbaren Azubi-Tickets zu unterstützen.
Neben dem Fördern muss beim Bürgergeld das Fordern wieder mehr in den Vordergrund gerückt werden. Die ersten Schritte hierzu reichen nicht aus. Das System muss so verändert werden, dass deutlich mehr Anreiz zum Arbeiten besteht. Bei der Erwerbsmigration muss es endlich gelingen, auch die Prozesse und Abläufe zu verbessern und zu digitalisieren. Die Migrationsverwaltung ist schon jetzt völlig überlastet. Arbeitskräfte, die bereits einen Arbeitsvertrag haben und morgen anfangen könnten, warten monatelang darauf loszulegen. Ein wirtschaftlicher Verlust für alle Seiten. Die neuen gesetzlichen Regelungen waren richtig, ändern aber an den zu langsamen Abläufen wenig. Zudem sollte das Verbot der Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen in der Zeitarbeitsbranche aufgehoben werden.
Anfang 2023 wurde erstmalig seit zehn Jahren die 40-Prozent-Marke bei den Sozialbeiträgen überschritten. Vor allem wegen der höheren Krankenkassen- und Pflegekassenbeiträgen werden es 2024 voraussichtlich bereits mehr als 41 Prozent sein. Dabei bleibt schon heute Beschäftigten in Deutschland weniger von ihrem erwirtschafteten Einkommen als in fast allen anderen Ländern. Steigende Beiträge belasten (personalintensive) Unternehmen, und schrecken Fachkräfte, unter anderem aus dem Ausland, ab. Das schwächt den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Lösung:
Es braucht ein Stoppschild im Sinne einer Haltelinie des Gesamtsozialversicherungsbeitrags.Wir brauchen dringend nachhaltige und ausgabensenkende Strukturreformen in allen Zweigen der Sozialversicherung, aber ganz besonders in der Kranken- und Pflegeversicherung. Hier muss die Versorgung effizienter werden. Zum Beispiel, indem wir die Krankenhauslandschaft konsolidieren und die Sektorengrenzen überwinden. Darüber hinaus müssen wir die Eigenverantwortung ausbauen und die Digitalisierung vorantreiben. Außerdem braucht es Berichte und Projektionen für die Zukunft der einzelnen Sozialversicherungszweige und den Gesamtsozialversicherungsbeitrag insgesamt. Das erhöht die Transparenz, zeigt den Reformbedarf auf, stärkt Debatten und befördert langfristige Entscheidungen. Außerdem braucht es ausgabensenkende Strukturreformen in allen Zweigen der Sozialen Sicherungssysteme und keine weiteren Leistungsversprechen oder -ausweitungen.
Nach den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag soll über das Jahr 2025 hinaus ein Mindestrentenniveau von 48 Prozent garantiert werden. Das kommt einer Leistungsausweitung gleich. Mit der Fortschreibung des Mindestrentenniveaus bei 48 Prozent über das Jahr 2025 hinaus wird der Rentenquotient der Rentenanpassungsformel faktisch ignoriert oder ausgesetzt. Denn über diesen wird das Verhältnis Beitragszahlende und Rentenbeziehende in die Rentenanpassungsformel übertragen.
Mit dem Renteneintritt der sogenannten Babyboomer würde dieser Faktor dämpfend auf die Rentenformel wirken und das Rentenniveau würde zwangsläufig sinken und Beiträge moderat steigen. Schreibt man jetzt allerdings das Mindestrentenniveau weiterhin fest, müssen die Beiträge und Bundeszuschüsse zwangsläufig stärker steigen. Eine dauerhafte Festschreibung des Rentenniveaus auf mindestens 48 Prozent ist jedoch nicht finanzierbar. Die langfristigen Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung würden dadurch weiter verschärft. Ohnehin drohen im Zuge des demografischen Wandels deutlich steigende Rentenbeiträge. Die Rentenversicherung darf daher nicht mit zusätzlich teuren Leistungsversprechen belastet werden.
Lösung:
Keine Fortschreibung des Mindestrentenniveaus. Es müssen vielmehr Maßnahmen ergriffen werden, die den Druck auf den Beitragssatz senken: Ältere Beschäftigte zu längerer Erwerbstätigkeit und damit umfangreicherer Lebensarbeitszeit ermuntern, Rentenübergänge flexibilisieren. Die Rente ab 63 (abschlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherte) abschaffen; Anhebung der Regelaltersgrenze über 67 Jahre hinaus auf den Weg bringen.
Im Rahmen der Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes haben BMWK, BMAS und das BAFA umfangreiche und unverhältnismäßig bürokratische Vorgaben für Unternehmen – insbesondere auch für mittelständische Unternehmen – geschaffen. Inzwischen sind viele Seiten an Handreichungen mit Umsetzungsvorgaben für Unternehmen veröffentlicht. Dabei wird das LkSG extensiv ausgelegt und bestehende Flexibilisierungsräume nicht genutzt. Neben dem Fakt, dass viele Unternehmen kostenintensive externe Beratungen und Anwälte für rechtliche Prüfungen beauftragen müssen, beeinträchtigt dies die Diversifizierungs- und Umsetzungsbemühungen der Unternehmen. Nach einer aktuellen Unternehmensumfrage ist eine Folge der Umsetzung des LkSG die Beendigung von Handelsbeziehungen oder der Rückzug aus Risikoländern. Fast ein Viertel (23 Prozent) der bereits vom LkSG betroffenen Unternehmen gibt an, dies zu tun oder zu planen.
Lösung:
Die LkSG-Umsetzungsvorgaben sollten unbedingt konsistent mit EU-Initiativen wie der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung sein und bürokratiearm sowie praxistauglich ausgestaltet werden. Die Pflichten müssen insofern überdacht werden, als dass sie auch die Auswirkungen auf KMUs stärker in den Blick nehmen. Neue Handreichungen sollten mit den repräsentativen Verbänden der Wirtschaft entwickelt werden. Deutlich effektiver als immer mehr Umsetzungsvorgaben herauszugeben, wären Listenansätze, zum Beispiel in Form einer Positivliste für Geschäftsbeziehungen mit Unternehmen in Regionen mit funktionierenden Rechts- und Schutzsystemen, wie etwa innerhalb der EU. Der Industriestandort Deutschland und auch Europa stehen unter einem erheblichen internationalen Wettbewerbsdruck. Daher und angesichts der Absicht vieler Unternehmen, sich aus Risikoländern zurückzuziehen, sollte das Gesetz und die Umsetzungsvorgaben sowie auch die europäische Variante CSDDD im Kontext eines hochgradig unter internationalem Wettbewerbsdruck stehenden Industriestandort Deutschland und Europa grundsätzlich überdacht werden.
Die EU ist gefordert, ihre Attraktivität als Partner in der handelspolitischen Zusammenarbeit gegenüber der globalen Konkurrenz zu erhöhen. Neben der schwierigen Kompromissfindung unter den EU-Partnern für neue Handelsabkommen tritt immer mehr Regulierung hinzu, die es den Unternehmen zusätzlich schwerer macht, ihre globale Wettbewerbsposition zu halten. Die Bundesregierung tritt nicht als aktiver Gestalter eines wirtschaftlich erfolgreichen Europas auf und setzt sich nicht entschieden genug gegen protektionistische Forderungen anderer EU-Mitgliedsstaaten ein. Die Stärkung des Europäischen Binnenmarkts im internationalen Standortwettbewerb – insbesondere flankiert durch eine ehrgeizige Handelspolitik – muss eine Top-Priorität der Bundesregierung sein.
Lösung:
Damit sich das vor dem Hintergrund der Wahlen zum Europäischen Parlament ändert, sind frühzeitige Positionierungen notwendig und eine klare Ausrichtung auf einen vertieften Binnenmarkt, der nationale Hemmnisse konsequent abbaut. Damit insbesondere der Mittelstand nicht durch Bürokratie überbelastet wird, ist ein Wettbewerbsfähigkeitscheck als integraler Bestandteil umfassender Folgenabschätzung bei allen EU-Gesetzesinitiativen zu nutzen, ebenso wie eine wirksame One-in-One-out-Regel. Damit die dringend notwendige Diversifizierung der Absatz- und Beschaffungsmärkte gelingen kann, ist eine strategisch geleitete Handelspolitik vonnöten. Die Bundesregierung sollte eine Überfrachtung potenzieller Abkommen vermeiden und für mehr Flexibilität in den Verhandlungen werben, um wichtige Abkommen wie mit Mercosur, Australien, Indien und Indonesien abzuschließen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Rainer Dulger, Präsident BDA
Prof. Dr.-Ing. Siegfried Russwurm, Präsident BDI
Peter Adrian, Präsident DIHK
Jörg Dittrich, Präsident ZDH